Logo2

Über die Arbeit mit Glas

Glas besticht durch ganz besondere, teils widersprüchliche Eigenschaften. Es ist transparent und glitzernd, wie schwerelos und dennoch kristallin, hart und scharf.

Die Faszination dieses Werkstoffs beschäftigt den Künstler Anatolij Grischko seit geraumer Zeit. Aus einfachen Floatglasscheiben entstehen seiner Malerei verwandte Glasobjekte.
Inspiriert von der Natur füllte Grischko zunächst mehrere gläserne Kuben mit Blättern, jeweils einer Pflanzenart. Die unterschiedlichen Formen und Farben der Blätter, Beeren oder Samen entfalten ihre ganz eigene Schönheit, erinnern aber auch an eine frühe naturwissenschaftliche Katalogisierung und scheinen vermeintlich hinter Glas für die Ewigkeit bewahrt.
Angeregt durch die Annäherung an die Natur beschäftigte den Künstler die Frage, wie es gelänge mittels flacher Scheiben einen Erdball oder Globus zu konstruieren. Grischko entwickelte das Prinzip der Schichtung, das zu den wichtigsten formalen Eigenheiten seiner Formensprache zählt.
Zunächst setzte er bis zur Kugelmitte im Radius größer werdende Glasscheiben, danach abnehmende mittels kleiner rechteckiger Glasklötzchen, als Verbindungsstücke zusammen und ließ so eine raumgreifende Kugel entstehen.
Im Wechsel zwischen transparenten runden Flächen, zartgrünen Kanten und scheibenförmigen Leerräumen entstand ein differenziertes, für das Auge zunächst verwirrendes Spiel. Dank eines durchsichtigen Spezialklebers, der mittels UV-Strahlen aushärtet und absolut unsichtbar bleibt ist das Zusammensetzen ohne Transparenzverlust möglich.
Wenn er in einem zweiten Schritt eine blaue Glaskugel in der Mitte platziert, die von lauter transparenten Sphären umgeben ist, wird der Betrachter endgültig gefangen genommen von der Wirkung, wobei die Frage nach dem Wie kaum auf den ersten Blick zu beantworten ist. Technische Fragestellungen treten dabei für den Betrachter auch in den Hintergrund, die gegensätzlichen Wirkungen der Schwerelosigkeit bei gleichzeitiger Kontur im Raum, stehen im Mittelpunkt.
Nach diesem Prinzip des additiven Zusammenfügens von Ebenen im Raum entstehen variantenreiche Glasobjekte, die segmentartig-gefächert oder kristallin- auskragend erscheinen.
Sandgestrahlte Rechteckflächen oder Kreise, immer zur Kugelmitte hin zunehmend, setzen der Transparenz eine milchig-matte oder leicht raue Anmutung entgegen.
Transparente oder intensiv blaue Scherben, ganz offensichtlich nichts anderes als Fragmente von Glasflaschen, erscheinen in kubischen oder längsrechteckigen Schächten aus Industrieglas. Hier dekliniert der Künstler erneut die gegensätzlichen Wirkungen, des Glatten gegen das Scharfkantige, der Farblosigkeit gegen die Intensität transluzider Farbigkeit oder ganz subtil der feinen Unterschiede verschiedener farbloser Glassorten. Bruchstückhaftigkeit und Irregularität setzt er gegenüber gerader Kontur und geschlossener Formen.
Bezeichnenderweise bleibt Grischko sparsam bei der Verwendung von Farben. Die blaue Glaskugel – als Globus, inmitten der Sphären, an einer Stelle menschliche Silhouetten aus blauem, grünem oder olivfarbenem Fusingglas geschmolzen oder leuchtend Blaue Flaschenscherben bleiben die Ausnahme und setzen höchstens Akzente.
 
Als würfelförmige Skulpturen auf Sockeln stehend oder als kugelförmige Objekte, wie Seifenblasen frei im Raum schwebend variiert er sein Grundprinzip. Die Illusion der Schwerelosigkeit wird durch eine dünne Nylonschnur kaum beeinträchtigt, zumal das einfallende Licht sein eigenes faszinierendes Spiel entfaltet. Glitzernd und prismatisch in die Farben des Regenbogens zerlegt hilft es die reale Situation zu verunklären und wirft gleichzeitig Schatten und Reflexe zurück auch auf die umgebende Wand. Ein Zauber schiebt sich vor die Frage nach dem Aufbau.
Dies ist umso bemerkenswerter, da Anatolij Grischko bei seinen Glasobjekten letztlich genauso konstruktiv vorgeht, wie in der Malerei. Der Vergleich wird evident, wenn er parallel zu seinen jüngsten Glasobjekten fünf Gemälde aus der umfangreichen Serie „Sprung im Viereck“ zeigt.
Hier lagert er zumeist rechteckige Farbflächen unterschiedlicher Größen und Formate übereinander, wobei Horizontale und Vertikale zu den dominierenden Größen werden. Dunklere Farbschichten werden grundsätzlich überlagert von hellerfarbigen, wodurch eine innerbildliche Tiefe entsteht, ein imaginärer Raum, der sich nach hinten fortzusetzen scheint.
 
Im Umgang mit dem Glas reizte ihn nach eigenen Angaben die Widersprüchlichkeit des Materials. Die Kühle, die Schärfe der Kanten und Härte der Kontur bei gleichzeitiger Fragilität, die Transparenz, die er durch Staffelung zum Volumen werden lässt und nicht zuletzt das Schillernde, das alle Realität zur Illusion werden lässt.
Der eigentlich collageartige Aufbau wird für den Betrachter oft ebenso unklar wie die Form an sich. So verschwimmen nicht selten Konkav- und Konvexformen in regenbogenfarbigen Reflexionen.
 
Dieser Illusionismus wird schließlich perfekt, wenn der Künstler die alte Tradition des Spiegelkabinetts neu definiert. Grischko greift hier zurück auf ein Medium, das seit der Barockzeit nichts an seiner überwältigend Faszination verloren hat.
War der Spiegelsaal zunächst Ausdruck einer feudalen Gesellschaft, die sich selbst und ihren festlichen Glanz im Scheine des Kerzenlichts hundertfach bespiegelte, so emanzipierte sich das Spiegelkabinett im 19. Jahrhundert und feierte die pure Lust an optischen Täuschungen. Wie ein unendliches Echo wird das eigene Bild von allen Seiten verkleinert zurückgeworfen. Die reale Raumsituation ist dabei kaum noch wahrnehmbar. Anatolij Grischko fügt seinem Spiegelkabinett eine weitere Komponente der Verunklärung hinzu, wenn er einen Film von außen durch einen Spionspiegel projiziert.
 
Ein fragiles Spiel mit Kontrasten ist es, womit Anatolij Grischko den Betrachter fasziniert, ihn durch schillernde Reflexe verwirrt und den Augensinn in Frage stellt
bis hin zur Illusion des Unendlichen.

Regina M. Fischer M.A.
 


Über die Malerei

Der gebürtige Ukrainer absolvierte zunächst ein Studium als Bauingenieur, bevor er 1962 bis 1967 Malerei an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Irkutsk studierte und mit Diplom abschloss.
Mag der Werdegang die analytische, konstruktivistische Seite seiner Kunst erklären, so kontrastiert Grischko diese abstrakte Komponente stets durch eine zweite lyrische, spielerische Ebene.
In den Gemälden werden gerade die oberen Farbflächen mit der Walze aufgetragen, wodurch die Farbe nur teilweise angenommen wird und eine weiche, malerische Struktur entsteht. Hinzu kommt die subtile Farbigkeit, die aus delikaten Valeurs aufgebaut ist.
Der oft zu Grunde gelegte Komplementärkontrast wird gemildert durch die Gegenüberstellung stark abgemischter Töne.
 
Regina M. Fischer M.A.